Es hätte so schön sein können. Ende September in Stars Hollow. Der Indian Summer zeigt sich von seiner schönsten Seite. Blauer Himmel, ein farbenfrohes Blättermeer wie aus dem Bilderbuch und der Barde singt selbstvergessen „Autumn Leaves“. Durch die Hauptstraße schlängelt sich von irgendwoher der Duft frisch gebackener Waffeln mit Maplesirup und selbst Taylor genießt dieses Idyll mit glänzenden Augen und vor allem schweigend. Aber nein – es war kalt, es war grau und es regnete. Kübelweise!
Die Scheiben von Luke’s Diner waren von innen beschlagen. Bei ihrem Anblick, der mich auf eine feuchtwarme Mischung aus Essens- und Menschengerüchen im Diner schließen ließ, verzichtete ich darauf, mir dort eine Malzmilch zu gönnen und drehte ab in Richtung Doose’s Market, um frisches Gemüse für das Mittagessen zu kaufen. Die Malzmilch würde warten müssen. Die Stimmung bei Doose’s war genauso trüb und grau wie soeben auf der Straße. Babette, Miss Patty und Lindsay Forester füllten den Laden mit ihrer Präsenz und ihren Stimmen und beklagten sich lautstark und wortreich bei Kirk, dass es dieser Regen unmöglich machen würde, Taylors Vorgaben zur neuen Fassadengestaltungsverordnung einzuhalten. Ich erinnerte mich, dass ich irgendwo ein entsprechendes Flugblatt zu diesem Thema gesehen hatte und überflog das Gemüseangebot. Abgesehen von einem Spitzkohl und einer Handvoll Radieschen war der Gemüsestand gähnend leer. Anscheinend hatte Jackson heute morgen mal wieder „Glatteis im Garten“ gehabt – so nannte er es jedenfalls, wenn er aus welchen Gründen auch immer, den Nachschub an frischer Ware aus seinem Garten nicht sicherstellen konnte. Somit stand nun also Kohlpfanne mit Radieschensalat auf der heutigen Speisekarte von Mrs Kim und mir. Lecker!
Auf dem Rückweg zum Antiquitätenladen lief ich April Nardini über den Weg. Von weitem sah ich zunächst nur einen riesigen, gelben Schirm der langsam näher kam. Aus der Nähe fiel mir auf, dass sie unter dem Schirm barfuß war und ansonsten auch nur Shorts und T‑Shirt trug. Dazu ihren üblichen ausgebeulten neongelben Rucksack, der genauso tonnenschwer zu sein schien, wie Rory Gilmores Pendant.
„Hallo April“ grüßte ich sie verwundert.
„Hallo Mr Kim“, entgegnete sie atemlos. „Ich bin zu spät, ich muss in die Schule. Wir machen einen Sonnentanz“.
„Sonnentanz? Ist das nicht eine Zeremonie der Natives?“
„Nein!“, antwortete sie und war schon zehn Meter weiter. „Diesen hab ich erfunden!“
Ich blickte ihr nach, wie sie hastig mit ihren bloßen Füßen durch die Pfützen der Main Street platschte. Plötzlich drehte sie sich nochmals um und rief mir lachend zu: „Lassen sie sich überraschen!“
Zu Hause legte ich den Spitzkohl und die Radieschen in die Küche. Meine Frau war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war sie irgendwo in den Untiefen des Ladens zu Gange und arrangierte die „neu eingetroffen“ und die „reduziert“ Schilder an den Antiquitäten nach einem nur ihr bekannten geheimen System neu an. Ihr Walten hatte jedenfalls dazu geführt, dass die seit Monaten unter verschiedenen gemischten Stühlen begrabene Chaise Longue in der Ladenecke nun komplett freigeräumt war und mir verführerisch zublinzelte. Ich ließ mich nicht zwei Mal bitten …
… und hatte einen wilden Traum von zwei Leuten namens Amy und Dan, die hitzig darüber debattierten, ob der Regen zur Storyline passen würde, wie es sich auf die Quoten auswirken würde und ob es unter einer Schneekugel überhaupt regnen könne und so fort. Unsinn halt …
… und erwachte vom Duft der Kohlsuppe, der sich mittlerweile im Laden breitgemacht hatte. Mrs Kim war während meines Schläfchens anscheinend wieder aufgetaucht und hatte sich an die Zubereitung des Mittagessens gemacht. Ich stand gähnend auf, reckte mich kurz und ging in die Küche. Sie war nicht da. Die Suppe blubberte auf dem Herd und auf dem Küchentisch lag eine aufgeschlagene Bibel und daneben ein handgeschriebener Zettel. Darauf stand: „Gott! Es reicht jetzt mit dem Regen! Sonne! Sofort!“
Hatte ich da richtig gelesen? Plötzlich schoss ein Sonnenstrahl durchs Fenster, so hell und leuchtend, wie ich es vorher noch nie erlebt hatte. Ich schloss geblendet die Augen. Lichtflecken tanzten hinter meinen geschlossenen Lidern auf und ab und ich musste mich erstmal auf den Stuhl setzen, den ich mir zum Glück schnell hatte ertasten konnte. Als ich die Augen wieder öffnete, war der Küchentisch leer. Mrs Kim stand am Herd und drehte sich zu mir um.
„Hallo Schatz, bist Du wieder wach? Danke für schönen Spitzkohl. Das wird eine gute Suppe“.
Ich schaute aus dem Fenster. Vom tiefblauen Himmel schien die Sonne, das Laub der Bäume schimmerte umwerfend rötlich und ein leichter Wind trug die Klänge von „Autumn Leaves“ in unsere Küche. Wer oder was nun für diesen Wetterumschwung verantwortlich war, ich beschloss keine Fragen zu stellen und diese Laune der Natur einfach zu genießen.
„Ich hätte Lust auf Waffeln mit Sirup zum Nachtisch“ sagte ich.