Zeit ist relativ. Zu diesem Fazit kam Albert Einstein schon vor über hundert Jahren.
Und wie sehr er damit recht hatte, zeigte sich einmal mehr bei unserer heutigen Stadtversammlung in Miss Patties Tanzschule: Taylor war in Hochform und ließ einen wahren Gewittersturm an unverständlichen Vorschriften, Verfahrensanweisungen und Paragrafen auf uns hilflose Teilnehmer herabprasseln. Sekunden und Minuten dehnten sich ins Endlose.
Worum es ursprünglich ging hatten ich und wohl auch alle anderen Anwesenden zu diesem Zeitpunkt bereits völlig vergessen. Nicht so Taylor: er brabbelte, gestikulierte, wedelte mit Zetteln und Schriftstücken, deutete ab und zu auf nicht vorhandene Flipcharts und lief von Zeit zu Zeit so rot an, dass ich kurz davor war aufzuspringen und bei ihm den Heimlich-Griff anzuwenden.
Ich ließ meine Blicke wandern. Miss Patty, die den Vorsitz bei der Versammlung innehatte, saß kraftlos in sich zusammengesunken auf ihrem Stuhl neben Taylors Katheter und hielt ihre Hände in ihrem Schoß verschränkt.
In der Reihe vor mir schienen Babette und Morey Kopf an Kopf ein Nickerchen zu halten. Gypsy und Andrew saßen mit vor der Brust verschränkten Armen da und schauten finster ins Leere.
Dean tippte auf seinem Smartphone herum, Sophie las in einer Musikzeitschrift und Zach, der heute ohne Lane hier war, bohrte sich abwechselnd im linken und im rechten Ohr und hätte das alles hier trotzdem ‚cool‘ gefunden, wenn ihn jemand gefragt hätte.
Kirk und Lulu knutschten und das war wahrscheinlich das Beste, was man aus dieser Situation machen konnte. Und wo waren eigentlich Lorelei und Luke? Die beiden hatten echt ein Talent, den langweiligsten und zähesten Versammlungen hier im Städtchen zu entgehen.
Ich blickte auf meine Uhr. Vom Gefühl her war es längst Mitternacht, aber nein, die Zeiger standen auf 9.15 pm und Taylor plapperte und plapperte und plapperte.
Plötzlich schob jemand von außen die Eingangstür auf. In der Öffnung erschienen Rory und ihre Halbschwester April Nardini. „Sorry, zu spät!“ rief April in den Saal. „Was haben wir verpasst?“
Für einige Sekunden herrschte völlige Stille in der Tanzschule. Alle Blicke hefteten sich an die beiden Neuankömmlinge. Taylor waren die Worte anscheinend im Hals steckengeblieben, die anderen, die größtenteils wohl sogar eingeschlafen waren, mussten sich erst sammeln und feststellen, wo sie eigentlich waren.
Am meisten hatte sich allerdings Miss Patty erschreckt. Wie vom Blitz getroffen schoss sie in die Höhe, griff nach dem kleinen hölzernen Sitzungshammer und hieb mit ihm mehrmals auf Taylors Katheter. „Wir stimmen jetzt ab!“ rief sie hämmernd in den Saal.
„Prima, wir sind alle dagegen!“ ertönte Gypsys Stimme. Ein vielstimmes „Genau!“ und „Sie hat Recht!“ klang durch den Raum. Wie auf Kommando standen alle auf und verließen eilig Miss Patties Tanzschule. Zach nickte mir zum Abschied noch ein genuscheltes ‚cool‘ zu. April und Rory zuckten mit den Schultern und verschwanden ebenfalls wieder nach draußen.
Zum Schluss blieben nur noch Taylor und ich übrig. Er hatte von der Bühne aus das Herausströmen der Versammlungsteilnehmer bewegungslos und mit offenem Mund verfolgt. Nachdem er seine Fassung wiedergewonnen hatte, wandte er sich nun an mich: „Mr. Kim, ich kenne sie als verantwortungsvollen und vor allem ehrlichen Mitbürger, der mich niemals mit einer Lüge abspeisen würde. Bitte verraten sie mir nur eines:
Mein Herz begann zu klopfen. Was konnte es sein, das Taylor jetzt von mir wissen wollte? Er fuhr nach einer kleinen Pause fort: „Was genau habe ich denn gesagt, dass hier alle die Flucht ergreifen?“
Ich atmete erleichtert auf. Wenn die Zeit relativ war, dann war es auch die Ehrlichkeit. Ich würde diese Prüfung mit Auszeichnung bestehen: „Genau? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, Taylor!“
Mit diesen Worten ging auch ich hinaus in den warmen Stars-Hollow-Frühlingsabend. Die Zeit hatte ihr normales Tempo wieder aufgenommen und so stand ich bereits nach fünf Minuten vor der Eingangstür zu Kims Antiques.
Als ich eintrat klapperte Mrs. Kim in der Küche mit Geschirr herum. „Hallo Schatz!“ rief sie zur Begrüßung durch den Laden, „das ging ja heute relativ schnell mit der Versammlung“.
„Relativ? Du sagst es!“, entgegnete ich und schloss die Tür.
Eine feine Geschichte. Mich irritiert die Vorstellung, dass Frau Kim in der Küche steht, während ihr Mann nach Hause kommt. Natürlich, das gehört zu Deinem Setting als „Mr. Kim“. Meine Irritation zeigt wohl nur, wie oft ich die sieben Staffeln durchgeschaut und wie sehr ich mich an die fiktive Realität gewöhnt habe.
Manche Kleinigkeit ist mir gar nicht sofort aufgefallen, etwa der sich in den Ohren bohrende Zach. 😀